Personalisierte Ernährung: Internationales Forschungsnetzwerk an der DHBW Heilbronn gegründet

Wie sollte sich ein Mensch ernähren, um den Gesundheitsstatus und das Wohlbefinden des Einzelnen nachhaltig zu optimieren? Dieser Frage geht das Forschungsprojekt "Personalisierte Ernährung" der Dualen Hochschule Baden-Württemberg (DHBW) Heilbronn nach. Ein neu gegründetes Netzwerk soll Wissenschaftler*innen aus der Medizin, den Ernährungswissenschaften, der Biologie und der Technik zusammenbringen und gemeinsame interdisziplinäre Forschungsprojekte anstoßen. Im Herbst findet dazu ein Fachkongress auf dem Bildungscampus statt.

Selbstoptimierung als Food-Trend

Die eigene Gesundheit ist laut einer Erhebung des Statistischen Bundesamts schon heute der wichtigste Beweggrund für die persönliche Ernährungsweise. „Wir sehen gerade ein Umdenken in Hinblick auf Essgewohnheiten und das Konsumverhalten“, erklärt Prof. Dr. Katja Lotz, akademische Leiterin des Forschungsprojektes und Studiengangsleiterin in BWL-Food Management an der DHBW Heilbronn. Knapp 20% der 18-34-Jährigen verfolgen laut einer Studie von Lightspeed/Mintel bereits einen personalisierten Essensplan weiß Lotz: „Die personalisierte Ernährung berücksichtigt die Alleinstellungsmerkmale des Einzelnen, d.h. Alter, Geschlecht, klinische Indikatoren, den genetischen und metabolischen Hintergrund sowie die Interaktion des Körpers mit der individuellen Darmflora. Die metabolische Analyse ist ein Test, der die Messung sehr kleiner Moleküle, sogenannter Metabolisten, umfasst“. Ziel sei es, durch eine persönliche Ernährung die eigene Gesundheit und das Wohlbefinden zu maximieren und Krankheiten zu vermeiden.

Was tatsächlich eine persönliche Ernährung leisten kann, dem will jetzt das Forscherteam nachgehen und sieht großen Nachholbedarf. „Es gibt zwar viele Daten etwa zum Zusammenhang von Ernährung und Krebs, Ernährung und Darmflora, Ernährung und menschliches Genom, es fehlt aber bislang der ganzheitliche Ansatz“, erklärt Dr. Cornelia Klug, wissenschaftliche Leiterin des Forschungsprojektes und Laborleiterin an der DHBW Heilbronn. Wichtigstes Ziel sei es, vorhandene Daten zu sammeln, innerhalb des Forschungsnetzwerks zur Verfügung zu stellen und Expert*innen unterschiedlichster Fachgebiete zusammen zu bringen.

Expertennetzwerk soll Forschungsprojekte anstoßen

Mit zum Forschungsnetzwerk gehören renommierte Wissenschaftler*innen und Ärzt*innen wie Prof. Dr. med. Uwe Martens, Direktor der Klinik für Innere Medizin III an der SLK-Klinik in Heilbronn sowie Mitgründer des MOLIT Instituts für personalisierte Medizin und der Grundlagenforscher Prof. Dr. Lars Steinmetz, Professor für Genetik an der Stanford University und Co-Direktor des Stanford Genome Technology Centers. Für beide spielt der Blick auf die Ernährung auf ganz unterschiedliche Weise eine entscheidende Rolle.

Martens verfolgt im Tumorzentrum Heilbronn-Franken einen ganzheitlichen Behandlungsansatz für Krebspatienten, Teil davon ist die individuelle Ernährungsberatung von Patienten: „Es ist naheliegend, dass die genetischen Besonderheiten eines Tumorstoffwechsels auch durch eine gezielte Ernährung beeinflusst werden können.“ Dabei gehe es nicht nur um die Ernährungsoptimierung für bereits Erkrankte. „Die Untersuchung des menschlichen Genoms und Mikrobioms könnte wesentlich sein, um individuelle Erkrankungsrisiken festzustellen und schon präventiv einschreiten zu können“, erklärt Martens. „Auch die individuelle Beeinflussung des Immunsystems durch eine personalisierte Ernährung ist ein sehr spannendes wissenschaftliches Thema.“ In diesem Themenfeld sieht er noch viel Forschungsbedarf. Von einem dynamischen Forschungsnetzwerk erhofft er sich eine Plattform zum weltweiten Austausch für diese neuen Forschungsfragen, um letztlich aus den neuen Erkenntnissen individuelle Ernährungsempfehlungen abzuleiten.

Grundlagenforscher Steinmetz beschäftigt sich in seiner Forschung in erster Linie mit der Genetik des Menschen: „Unsere Genetik macht uns einzigartig. Sie bestimmt zu einem großen Teil, wie groß wir sind und welche Haarfarbe wir haben. Ebenso beeinflusst unsere Genetik, wie wir auf verschiedene Lebensmittel reagieren.“ Das sei auch der Grund, weshalb standardisierte Diäten nicht immer gleich gut funktionierten. „Menschen reagieren aufgrund von Wechselwirkungen zwischen ihrer einzigartigen genetischen Ausstattung, persönlichen Geschichte und der daraus resultierenden Physiologie unterschiedlich auf ähnliche Diäten.“ Bislang stecke die Forschung jedoch noch in den Kinderschuhen. Es gebe zwar bereits Modelle, die anhand von Informationen aus Genomsequenzierung, Mikrobiomanalysen und kontinuierlichen Blutzuckermessungen vorhersagen, welche Ernährung für eine Person am besten ist, allerdings seien diese Untersuchungen bislang sehr teuer, aufwändig und blieben dem Durchschnittsbürger vorenthalten.

Kulinarische Bildung als Privileg?

Die Digitalisierung könne bei der Demokratisierung gesunder Ernährung helfen, ist sich Steimetz sicher: „Die Digitalisierung von Gesundheitsdaten beschleunigt den Fortschritt der personalisierten Medizin rasant. Wir sind in der Lage, mehr Daten über unsere Gesundheit und unseren Lebensstil zu sammeln als jemals zuvor. In diesen Daten können wir dann nach Markern suchen, die uns helfen können, Krankheiten zu diagnostizieren, zu behandeln, zu überwachen und letztlich zu verhindern.“ Steinmetz stellt sich für die Zukunft eine App vor, die basierend auf dem genetischen und physiologischen Hintergrund des Benutzers eine individuell zugeschnittene Designer-Diät empfiehlt. „Diese App würde dann auch gleich eine Einkaufsliste erstellen, passende Kochrezepte heraussuchen und dokumentieren, wie sich die Ernährungsumstellung auf die Gesundheit des Benutzers auswirkt.“

Auch Forschungsleiterin Lotz weiß, dass eine gesunde, persönliche Ernährung keineswegs teuer sein muss. Im Lebensmittelhandel – ob Discounter, Supermarkt oder Wochenmarkt – könne alles eingekauft werden, was für eine gesunde und nahrhafte Küche benötigt werde. Problematisch sei eher die kulinarische Bildung: „Wer sich gesund ernähren möchte, muss wissen, was in den einzelnen Lebensmitteln steckt – und sie dementsprechend auswählen“. Doch genau das sei aufgrund fehlender Angaben auf den Lebensmitteln nicht immer nachvollziehbar. Gerade hier könne die Digitalisierung der Lebensmittelbranche helfen, ist sich Lotz sicher: „Es müssten viel mehr Daten zu den einzelnen Lebensmitteln zur Verfügung stehen, um ein größeres Bewusstsein für einzelne Inhaltsstoffe zu schaffen.“

Fachkongress auf dem Bildungscampus

Am 5. Oktober 2021 ist ein internationaler Fachkongress zum Thema Personalisierte Ernährung auf dem Bildungscampus geplant. Mit dabei sind u.a die Ernährungswissenschaftlerin Prof. Dr. Hannelore Daniel, Dr. Simone Frey von Nutrition Hub, der ehemalige Präsident des Max-Rubner-Instituts Prof. Dr. Gerhard Rechkemmer sowie Steinmetz und Martens. Themenschwerpunkte bilden die Genetik, Public Health sowie stoffwechselorientierte Anwendungen im Alltag. Der Kongress dient als Diskussionsplattform für das neu gegründete Netzwerkcluster, richtet sich aber auch an den Handel und Start-Ups, die Produkte und Dienstleistungen rund um das Thema anbieten.

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